Schnupfen, Schnupfen, Schnupfen
Die chronische Sinusitis ist eine Erkrankung der Nase und Nebenhöhlen, die etwa 15 Millionen Deutsche immer wieder aufs neue betrifft. Das ist fast jeder fünfte Mensch in Deutschland.
Für viele dieser Patienten umfasst die Behandlung oft langwierige Antibiotikakuren. Wenn diese Medikamente nicht wirken, müssen Betroffene eine heikle Operation durchlaufen, um infizierte Hohlräume im Schädel zu reinigen. Diese Operationen scheinen heutzutage häufiger vorzukommen. Wohl weil der übermäßige Gebrauch von Antibiotika paradoxerweise dazu geführt hat, dass diese Medikamente weniger wirksam sind. In den USA ist beispielsweise jede fünfte Antibiotikaverschreibung für einen Erwachsenen mit Sinusitis. Die Krankheit ist Teil eines Teufelskreises geworden, der zur Ausbreitung gefährlicher antibiotikaresistenter Bakterien wie Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) beiträgt.
Altes Wissen und aktuelle Forschung
Aktuell arbeiten viele Forschern daran, die Abwehrmechanismen des Immunsystems besser zu verstehen. Der Durchschnittsmensch atmet täglich mehr als 10.000 Liter Luft ein, einen Großteil davon durch die Nase, und diese Luft enthält unzählige Bakterien, Pilze und Viren. Unsere Nase ist die erste Verteidigungslinie der Atemwege. Jedes Mal, wenn wir atmen, bleiben Partikel, Viren, Bakterien und Pilzsporen dort hängen. Dennoch gehen die meisten Menschen erstaunlicherweise frei atmend durch den Tag, ohne eine Infektion der Atemwege zu bekommen.
Es stellt sich heraus, dass ein bisher unerwarteter Grund buchstäblich auf unserer Zunge liegt. Geschmacksrezeptoren die bittere Aromen erkennen, erfüllen nämlich eine Doppelfunktion: Sie schützen uns auch vor Bakterien.
Die Forschung hat gezeigt, dass diese Rezeptoren drei bakterienbekämpfende Reaktionen auslösen.
Erstens senden sie Signale aus, die Zellen dazu bringen, Eindringlinge durch Bewegung von Zilien – winzigen, haarähnlichen Vorsprüngen auf der Zelloberfläche – abzuwehren.
Zweitens veranlassen sie Zellen dazu Stickstoffmonoxid freizusetzen, wodurch Krankheitserreger direkt zerstört werden können. (Mehr zu Stickstoffmonoxid weiter unten)
Drittens signalisieren sie Zellen, antimikrobielle Proteine namens Defensine freizusetzen.
Diese Rezeptoren wurden nicht nur auf der Zunge und in der Nase gefunden, sondern auch an anderen Stellen der Atemwege sowie im Herzen, in der Lunge, im Darm und in weiteren Organen des Körpers.
In der Chinesischen Medizin gehören sowohl Nase, Nebenhöhlen, Rachen, Geschmackssinn und auch der Darm zum TaiYin-System, welches u.a. für unsere Immunantwort zuständig ist. Der „bittere Mundgeschmack“ zählt zu den Indikationen für eine Form der Atemwegsinfektion die von Hartnäckigkeit geprägt ist. Diese Zusammenhänge sind schon seit fast 2.000 Jahren bekannt. Die Möglichkeiten der heutigen Wissenschaft helfen uns nun endlich diese alten Erkenntnisse genauer zu verstehen.
Frühwarnsystem unseres Immunsystem
Wissenschaftler glauben, dass diese Rezeptoren Teil eines angeborenen Immunsystems sind, das sich von den bekannteren Merkmalen wie Antikörpern und infektionsbekämpfenden Zellen unterscheidet. Es kann viele Stunden oder Tage dauern, bis das Immunsystem spezifische Antikörper gegen Viren oder Bakterien produziert. Die Reaktionen der Geschmacksrezeptoren jedoch sind eher allgemein und weniger spezifisch auf bestimmte Bakterien ausgerichtet – und sie geschehen in nur wenigen Minuten. Ein wahres Frühwarnsystem.
Ein Gespür für Gefahr
Wenn man Geschmacksrezeptoren als Wächter betrachtet, die auf Substanzen reagieren, die in den Körper gelangen, ergibt ihre Rolle im Immunsystem Sinn. Unser Geschmackssinn fungiert als Türsteher des Verdauungssystems und gibt uns Informationen über die Nahrung, damit wir entscheiden können, ob wir sie schlucken oder nicht. Die Zunge erkennt fünf grundlegende Geschmacksrichtungen: bitter, süß, salzig, sauer und herzhaft, auch bekannt als umami. Bittere Geschmacksrezeptoren können das Vorhandensein von giftigen Pflanzenstoffen erkennen, einschließlich einer Stoffklasse namens Alkaloide, zu der auch Strychnin und Nikotin gehören.
Die Geschmäcker, die wir heute als "bitter" bezeichnen, werden oft als unangenehm empfunden, weil sich die Rezeptoren entwickelt haben, um das Vorhandensein potenziell schädlicher Substanzen anzuzeigen.
Das könnte erklären, warum es so viele verschiedene bittere Rezeptoren gibt. Für süß, salzig, sauer und umami gibt es jeweils nur eine Art von Rezeptor, für bitter gibt es mindestens 25 Rezeptortypen. Diese Typ-2-Rezeptoren (T2Rs) haben sich wahrscheinlich entwickelt, um eine breite Vielfalt von Giften zu erkennen und uns davor zu schützen, sie zu schlucken.
Stand der Forschung
Erste Hinweise auf eine Rolle der T2Rs außerhalb der Zunge tauchten 2009 auf, als Forscher der University of Iowa auf Epithelzellen der Lungen T2Rs entdeckten. Eine klebrige Schleimschicht auf diesen Zellen fängt Mikroben und Reizstoffe ein, die wir einatmen. Die winzigen Zilien auf den Zellen schlagen dann acht- bis fünfzehnmal pro Sekunde synchron, um die Reizstoffe in Richtung Rachen zu bewegen, wo sie geschluckt oder ausgespuckt werden.
Interessant war, dass die Zilien tatsächlich schneller schlagen, wenn ihre T2Rs durch bittere Verbindungen stimuliert werden. Dies deutet darauf hin, dass die T2Rs den Atemwegen helfen, potenziell gefährliche eingeatmete Substanzen zu beseitigen, die im Mund bitter schmecken würden.
Forscher der University of Colorado entdeckten bittere Geschmacksrezeptoren die aktiver wurden, wenn sie bakterielle Moleküle namens Acyl-Homoserin-Lactone (AHLs) erkannten. AHLs werden von gefährlichen gramnegativen Bakterien freigesetzt, wenn diese Biofilme bilden. Biofilme sind Gemeinschaften von Bakterien die sich durch eine Matrix aneinander binden, was sie bis zu 1.000-mal resistenter gegen Antibiotika macht. Und genau diese biofilmbildenden AHL-Moleküle stimulieren die Aktivität in den Zellen mit bitteren Geschmacksrezeptoren. Was die Annahme unterstützt, dass diese Rezeptoren auf äußere Eindringlinge reagieren.
„Nicht-Schmecker“ und „Superschmecker“
Zwei Varianten dieser Geschmacksrezeptoren haben besonders unterschiedliche Auswirkungen auf den Geschmackssinn, wenn sie auf der Zunge vorkommen. Eine dieser Versionen (T2R38) ist sehr empfindlich gegenüber bitteren Geschmäckern, die andere reagiert überhaupt nicht. Etwa 30 % der Menschen besitzen zwei Gene der unempfindlichen T2R38-Variante und sind sogenannte „Nicht-Schmecker“ für bestimmte bittere Verbindungen. Rund 20 % besitzen zwei Gene für die funktionelle T2R38-Variante und empfinden diese Verbindungen als extrem bitter; sie werden „Superschmecker“ genannt. Die restlichen 50% der Menschen besitzen je eine Kopie der Genvariante und liegen irgendwo zwischen diesen Extremen.
Das Interessante ist nun, dass die Zellen von Superschmecker, aber nicht die von Nicht-Schmeckern, große Mengen an Stickstoffmonoxid produzierten. Wir erinnern uns - Stickstoffmonoxid killt Bakterien!
Stickstoffmonoxid hat in den Atemwegen zwei wichtige antimikrobielle Funktionen. Es kann die Zellen anregen, das Schlagen der Zilien zu beschleunigen, und es kann Bakterien direkt abtöten. Da Stickstoffmonoxid ein Gas ist, kann es schnell aus den Zellen in den Schleim und von dort in die Bakterien diffundieren. Einmal in den Bakterien, schädigt es deren Membranen, Enzyme und DNA. Normalerweise produzieren unsere Nebenhöhlen große Mengen Stickstoffmonoxid, das durch die Atemwege strömt und hilft, sie infektionsfrei zu halten.
Die Zellen der Superschmecker sind deutlich besser darin das Zilienschlagen zu beschleunigen und Bakterien abzutöten als die der Nicht-Schmecker. Nasenzellen von Superschmeckern erkennen bakterielle AHLs über T2R38 und produzieren Stickstoffmonoxid, während Zellen von Nicht-Schmeckern dies nicht tun. Diese Eigenschaften machen Zellen von Superschmeckern wesentlich effektiver bei der Abtötung AHL-produzierender Bakterien als Zellen von Nicht-Schmeckern.
Süß hemmt bitter
Geschmacksrezeptoren kommen auch in solitären chemosensorischen Zellen der Nase vor. Diese Zellen besitzen sowohl T2R-Bitterrezeptoren als auch T1R-Süßrezeptoren. Bei Stimulation senden T2R-Rezeptoren Signale aus, die umliegende Zellen dazu anregen, antimikrobielle Proteine namens Defensine in den Atemwegsschleim abzugeben. Defensine können viele krankheitserregende Bakterien abtöten, darunter multiresistente Keime. Die Süßrezeptoren hingegen unterdrücken bei Stimulation die Aktivität der Bitterrezeptoren, wahrscheinlich um zu verhindern, dass die Zellen unangemessen viele Proteine freisetzen.
Hier stellt sich die Frage, ob übermäßiger Konsum von Süßem (Zucker, Kohlenhydrate usw) über diesen Weg unsere Immunantwort hemmt und Infektanfälligkeiten begünstigt.
Bitter schützt!
Die große Anzahl genetischer Varianten in T2R-Bittergeschmacksrezeptoren macht ihre Rolle im Immunsystem noch faszinierender. Die meisten der 25 Bitterrezeptoren weisen genetische Variationen auf, die ihre Funktion verstärken oder abschwächen. Dadurch sind Menschen, die diese Varianten tragen, mehr oder weniger empfindlich gegenüber bitter schmeckenden Substanzen. Wenn eine Reaktion auf Bitterkeit tatsächlich Teil der Immunantwort auf eindringende Bakterien ist, könnten diese genetischen Unterschiede auch Auswirkungen auf unsere Immunantwort haben. Eine erhöhte Funktion der Bitterrezeptoren könnte einen besseren Schutz gegen Infektionen bieten, während eine verminderte Funktion die Anfälligkeit erhöhen könnte.
Und tatsächlich, es gibt Hinweise darauf, dass diese Hypothese korrekt ist.
Superschmecker erkrankten zwar ebenfalls an Rhinosinusitis – sie sind nicht immun –, haben jedoch viel seltener Naseninfektionen mit gramnegativen Bakterien als Nicht-Schmecker. Das ergibt Sinn, da gramnegative Bakterien AHLs produzieren, die durch das Auslösen von Rezeptoren dazu führen, dass die Zellen dieser Personen mikrobentötendes Stickstoffmonoxid freisetzen. Bakterien die keine AHLs produzieren umgehen leider diese Immunabwehr.
Auch in anderen Organen unterstützen Geschmacksrezeptoren unser Immunsystem.
Zum Beispiel im Harntrakt, hier regt der Kontakt mit E. coli die Blase zur Urinabgabe an um Bakterien auszuspülen und Blaseninfektionen zu verhindern. Weiße Blutkörperchen – wichtige Bestandteile des Immunsystems – nutzen T2R38 um gefährliche Krankenhauskeime zu erkennen.
Neue Sicht auf die Chinesische Arzneimitteltherapie
Interessant hier wieder ein Blick auf die Chinesische Arzneimitteltherapie. Wollen wir in der TCM Infektionen und Entzündungen lindern, so setzten wir bevorzugt Stoffe mit bitterem Geschmack ein. Hier gibt es nachweislich einen deutlichen klinischen Nutzen sowohl in der Prophylaxe von Krankenhauskeimen als auch in der Therapie von akuten und chronischen Infektionen und Entzündungen. Neben direkt antientzündlichen, antibiotischen und antiviralen Wirkungen kann der bittere Geschmack dieser Arzneimittel zusätzlich als Stimulator von T2Rs in solitären chemosensorischen Zellen wirken. Dies können wir uns zunutze machen um eine potentiell übermäßige Nutzung von Antibiotika zu verhindern.
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Quelle: Lee RJ, Cohen NA. Bitter taste bodyguards. Sci Am. 2016 Feb;314(2):38-43. doi: 10.1038/scientificamerican0216-38. PMID: 26930826.
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